«Wir funktionieren als Chefärzte besser im Team»
Text: Daniel Göring, Foto: Tino Kistler
Beschreiben Sie bitte Ihre bisherigen Erfahrungen als Chefärzte Innere Medizin mit einem Adjektiv.
Manuel Blum: Intensiv.
Tobias Anliker: Das Wort trifft es ziemlich gut.
Nun hätte ich gerne noch eine Erklärung dazu.
Blum: Wir hatten unsere Vorstellungen, was wir antreffen würden und erreichen möchten. Bald einmal merkten wir, dass viel Aufwand damit verbunden war. Wir wussten zwar, dass die Aufgabe intensiv sein würde, konnten uns aber nicht vorstellen, wie intensiv. Gleichwohl habe ich den Eindruck, dass wir einiges erreicht haben.
Anliker: Es war eine Menge Arbeit, aber es ist befriedigend zu sehen, was wir in dem knappen Jahr alles geschafft haben.
Was war Ihre erste Amtshandlung als Chefärzte?
Blum: Wir begannen bereits vor unserem offiziellen Start, Dinge vorzuspuren. Unter anderem nahmen wir erste Planungen vor und konnten vorhandene Vakanzen schliessen, indem wir künftige Mitarbeitende einstellten. Und wir arbeiteten vorab einen Monat gemeinsam mit den beiden abtretenden Chefärzten.
Anliker: Wir sind direkt «an der Front» eingestiegen. Ich erinnere mich gut an die erste Woche mit einem Notfalldienst, der ziemlich intensiv war…
Blum: …weil du mit einer der höchsten Zahlen an Patientinnen und Patienten auf den Notfall seit Bestehen des Spitals konfrontiert warst. Mit ein Grund dafür war das Unwetter, welches Brienz heimsuchte.
«Für uns war klar, dass wir nicht allein die Aufgabe eines Chefarztes wahrnehmen wollen.»
Sie haben sich als Duo für die Chefarztposition beworben – warum?
Anliker: Manuel und ich kennen uns schon lange. Wir haben über Jahre hinweg zusammen im Inselspital gearbeitet. Eines Tages stellten wir uns in einem Gespräch über die berufliche Zukunft die Frage, ob wir nicht einen Chefarztposten teilen könnten. Daraus reifte über Jahre hinweg der konkrete Plan, den wir jetzt hier in Interlaken umsetzen dürfen. Für uns war klar, dass wir nicht allein die Aufgabe eines Chefarztes wahrnehmen wollen. Wir funktionieren besser im Team und ergänzen uns fachlich wie menschlich gut. Ich habe meine Schwerpunkte in der Notfallmedizin und in Managementfragen…
Blum: …und ich bin seit einiger Zeit in der Ausbildung und in der Forschung tätig. Eine wichtige Voraussetzung für eine Co-Leitung ist zudem, dass man sich gut kennt und sich aufeinander verlassen kann.
Anliker: Noch ein Wort, warum wir uns in Interlaken beworben haben. Wir sind «Vollblutkliniker», die noch am Patientenbett tätig sein wollen. In einem Grossspital würden wir, je weiter wir in der Hierarchie aufsteigen, umso mehr im Büro verschwinden. Das entspricht uns nicht.

Eine wichtige Voraussetzung für eine Co-Leitung ist laut Manuel Blum, dass man sich gut kennt und sich aufeinander verlassen kann.
Man hört im Spital, dass Sie stets zu zweit unterwegs seien. Stimmt das?
Anliker: Immer nicht, einer muss zwischendurch auch mal schlafen… Spass beiseite: Wir sind ein Team, so funktionieren wir auch, und deshalb sieht man uns oft gemeinsam im Spital.
Blum: Wir haben zu Beginn die Zuständigkeiten bewusst nicht aufgeteilt, wir wollten uns zuerst einen Überblick über den Betrieb verschaffen. In einem zweiten Schritt werden wir gewisse Tätigkeiten aufteilen, weil es natürlich nicht für jede Aufgabe beide braucht.
Anliker: Die Aufgabenteilung wird in etwa entlang unserer Stärken erfolgen. Das heisst zum Beispiel, Manuel wird sich um die Planung der Weiterbildungen kümmern, ich mich um Fragen aus dem Notfallbetrieb.
Sind Sie sich auch mal nicht einig? Wer entscheidet dann?
Blum: In zentralen Fragen ist es bisher nicht vorgekommen, dass wir uneins waren. Bei kleineren Differenzen haben wir im Gespräch immer die rational beste Lösung gefunden.
Anliker: Wir sind beide rationale Menschen. Wenn der eine die besseren Argumente hat, ist es für den anderen kein Problem, diese zu akzeptieren. Es geht uns nicht darum, die eigene Meinung durchzudrücken, sondern die beste Lösung zu finden.
Was kann Ihr Kollege besonders gut?
Blum: Tobias ist der exzellenteste Kliniker, den ich kenne. In der Inneren Medizin gibt es oft keine Schwarz-Weiss-Lösungen, es braucht viel Erfahrung, um die richtige Diagnose zu stellen. Tobias bringt diese mit. Ich finde es grandios, jemanden wie ihn als Co-Chefarzt zu haben.
Anliker: Die Einschätzung, dass er über eine hohe klinische Kompetenz verfügt, kann ich an Manuel zurückgeben. Er hat zudem besondere Stärken in der Weiterbildung und im Umgang mit den Mitarbeitenden.
Woran müssen Sie sich gegenseitig noch gewöhnen?
Blum: Da wir uns schon lange kennen, haben wir gewusst, worauf wir uns einlassen. Überraschungen habe ich mit Tobias bis anhin keine erlebt.
Anliker: Dem kann ich beipflichten.
Was ist Ihnen als Chefärzte besonders wichtig?
Anliker: Zuoberst steht für uns eine hochstehende Qualität der medizinischen Versorgung für die Patientinnen und Patienten. Das heisst eine Behandlung, die den neusten fachlichen Erkenntnissen entspricht, aber auch den Wünschen der Patientinnen und Patienten angepasst ist. Wir sind uns bewusst, dass die Bedürfnisse der Menschen variieren können, abhängig davon, ob sie zum Beispiel in Interlaken oder einem Bergdorf leben.
Blum: Ein zentraler Punkt für ein Regionalspital ist auch die Aus- und Weiterbildung von jungen Kolleginnen und Kollegen. Unser Anliegen ist es, ihnen nicht nur Fachwissen weiterzugeben, sondern auch die Freude am Beruf. Wir möchten insbesondere Allgemeinpraktikerinnen und -praktiker fördern, von denen sich vielleicht der eine oder die andere als Hausärztin oder -arzt in der Region niederlassen wird.

Tobias Anliker betont, dass in einem kleinen Spital Dienst nach Vorschrift nicht funktioniert. Er schätzt die Flexibilität der Mitarbeitenden.
Worin unterscheidet sich das Spital Interlaken von anderen Spitälern?
Blum: Interlaken ist ein Spital mit schlanken Strukturen. Für mehrere Fachrichtungen, die in anderen Spitälern integriert sind, gibt es hier in der Region selbständige Praxen, mit denen wir zusammenarbeiten. Beispiele sind die Kardiologie oder die Gastroenterologie, aber auch viele andere. Wir schätzen deren Dienstleistungen sehr.
Anliker: Ein kleineres Spital ist darauf angewiesen, dass die Mitarbeitenden Dinge möglich machen, die sie andernorts nicht zu tun bräuchten. Dienst nach Vorschrift funktioniert bei uns nicht. Wir verfügen über Teams, die eine hohe Flexibilität zeigen und bei Bedarf auch mal eine Extraschicht einlegen. Das zeigt die Verbundenheit, welche die Beschäftigten mit dem Spital haben.
«Die Innere Medizin kann auch in Zukunft nicht vollständig «ambulantisiert» werden.»
Wie wird sich die Innere Medizin bis 2035 verändern?
Anliker: Aufgrund der demografischen Entwicklung mit immer mehr älteren Menschen, die oft mehrere Krankheiten gleichzeitig haben, wird der Arbeitsaufwand tendenziell weiter zunehmen. Diesem Trend müssen wir entsprechen, um der Bevölkerung auch künftig eine gute medizinische Versorgung anbieten zu können.
Blum: Darüber, wie das medizinische Angebot längerfristig aussehen soll, wird nicht nur die fachliche Ebene, sondern auch die Politik entscheiden. Klar ist, dass die Innere Medizin nicht vollständig «ambulantisiert» werden kann. Insbesondere komplex erkrankte, ältere Patientinnen und Patienten können oftmals nicht wie junge ambulant behandelt werden.
Wagen Sie eine Prognose: Werden Sie dann noch gemeinsam als Chefärzte tätig sein?
Blum: Wir haben uns nicht mit der Absicht beworben, nur mal so «vorbeizuschauen». Wir wollen hier die Allgemeine Innere Medizin gemeinsam längerfristig weiterentwickeln.
Anliker: Und das ist nach wie vor der Plan, an dem wir beide arbeiten.
Innere Organe im Zentrum
Die Allgemeine Innere Medizin befasst sich mit der Diagnostik und der konservativen Behandlung von Krankheiten der inneren Organe eines Menschen. Die konservative Therapie stützt sich auf Medikamente oder physikalische Massnahmen. Die Innere Medizin behandelt Erkrankungen der Herz-, Kreislauf- und Atmungsorgane, des Verdauungssystems, der Nieren und Harnwege, des Blutes und der blutbildenden Organe, des Stoffwechsels und der Hormondrüsen sowie des Stütz- und Bewegungsapparates. Hinzu kommen Behandlungen von Infektionskrankheiten sowie allergischen und immunologischen Erkrankungen.

Zur Person
Dr. med. Tobias Anliker und PD Dr. med. Manuel Blum haben einen langen gemeinsamen beruflichen Weg. Während mehr als einem Jahrzehnt arbeiteten sie im Inselspital in Bern, wo sie als Assistenzärzte begannen und am Schluss Kaderärzte für Innere Medizin waren.

Seit September 2024 leiten sie als Co-Chefärzte die Innere Medizin im Spital Interlaken. Die beiden leben mit Partnerin respektive Familie auf dem Bödeli. In der freien Zeit, die ihnen neben dem Job bleibt, geniessen sie die Region und sind unter anderem in den Bergen unterwegs. Einmal pro Jahr fahren die beiden zusammen mit anderen Berufskollegen in die Ferien.
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