Warum die Psychiatrie im Altersheim auf Visite geht
Text: Daniel Göring, Foto: Tino Kistler
Ulrike Lehnherr (Name geändert) hat sich auf einem Polsterstuhl am Fenster ihres Zimmers niedergelassen. «Heute Morgen bin ich wie immer spazieren gegangen», erzählt die Bewohnerin des Alterswohnheims Zumsy Rosenau in Matten ihrem Besuch. Ihr gegenüber sitzt Claudia von Allmen, Fachexpertin Pflege in der Psychiatrie der Spitäler fmi AG. Sie ist auf Visite im Zumsy Rosenau und macht sich ein Bild über den Zustand von Ulrike Lehnherr, die an fortgeschrittener Demenz leidet.
Erstaunlicherweise ist die 81-Jährige heute in der Lage, exakt zu beschreiben, über welche Strassen und Wege ihr täglicher Morgenspaziergang führt. Früher, fährt Ulrike Lehnherr fort, seien sie und ihr Mann oft mit dem Auto unterwegs gewesen. «Dabei haben wir uns immer mal wieder gefoppt, aber ansonsten sind wir friedlich durchs Leben gegangen.» Das Lächeln auf ihrem Gesicht zeigt, dass Ulrike Lehnherr mit Heiterkeit an die längst vergangenen Episoden zurückdenkt. Claudia von Allmen zieht aus dem gut zehnminütigen Gespräch das Fazit, dass die Stimmung der Patientin stabil ist und es keine Massnahmen braucht. Sie wird in einigen Wochen wieder bei Ulrike Lehnherr vorbeischauen.

Claudia von Allmen, Fachexpertin Pflege in der Psychiatrie der Spitäler fmi AG, auf Visite im Alterswohnheim Zumsy Rosenau
Heimarzt froh um Entlastung
Claudia von Allmen und ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem Altersbereich Psychiatrie der Spitäler fmi AG sind regelmässig in verschiedenen Alters- und Pflegeheimen im östlichen Berner Oberland auf Visite. Sie unterstützen Heimärzte und Pflege bei der Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen und verschiedenen Demenzformen. Alle sechs Wochen finden Besprechungen mit den Fachpersonen der Heime statt, bei Bedarf verschaffen sie sich dazwischen einen Eindruck von der Gesundheitssituation von Bewohnerinnen und Bewohnern.
«Wann immer sich bei einer Patientin oder einem Patient eine psychische Krise anbahnt oder akuter Handlungsbedarf gegeben ist, ‹fliegen› wir aus», erläutert Claudia von Allmen. Mit den regelmässigen Besprechungen und Visiten lasse sich in vielen Fällen vermeiden, dass eine Person plötzlich in die stationäre Psychiatrie eingewiesen werden müsse. Manchmal genügten fachspezifische Hinweise für die Pflege im Umgang mit der Bewohnerin oder dem Bewohner, manchmal brauche es Anpassungen bei Medikamenten, was dann Thema für eine Ärztin oder einen Arzt werde, führt die Pflegeexpertin Psychiatrie aus.
«Wann immer sich bei jemandem eine psychische Krise anbahnt oder akuter Handlungsbedarf gegeben ist, ‹fliegen› wir aus.»
Dankbar für die Unterstützung durch die Psychiatrie der Spitäler fmi AG ist Hannes Balmer. Der Hausarzt aus einer Gruppenpraxis in Unterseen fungiert auch als Heimarzt für das Alterswohnheim Zumsy Rosenau. «Ich bin froh um die Entlastung durch die psychiatrischen Fachleute.» Gerade bei komplexeren Fällen sei es von Vorteil, wenn sich eine spezialisierte Fachperson darum kümmern könne.

Nicht immer stossen Claudia von Allmen und ihre Kolleginnen und Kollegen bei Patientinnen und Patienten auf offene Türen
Demenzerkrankungen am häufigsten
Die häufigsten Erkrankungen, welche Claudia von Allmen in den Alterseinrichtungen antrifft, sind verschiedene Formen von Demenz und Altersdepression. Krankheitsbilder, mit denen nicht immer einfach umzugehen ist. Dennoch liegen Claudia von Allmen die Besuche in den Heimen am Herzen: «Ich bin gerne nahe bei den Menschen. Sie in schwierigen Lebensumständen begleiten zu können, empfinde ich als ungemein wertvoll.»
Doch nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner sollen von den psychiatrischen Fachpersonen aus dem Spital profitieren. Claudia von Allmen hebt hervor, dass gerade jüngere Pflegende oft dankbar seien für Hinweise auf demenz- oder depressionsspezifische Verhaltensmuster der betagten Menschen: «Sie schätzen es, wenn wir ihnen aufzeigen, warum jemand reagiert, wie er oder sie reagiert.» Apropos Reaktion: Nicht immer würden sie und ihre Kolleginnen und Kollegen bei Patientinnen und Patienten auf offene Türen stossen, räumt Claudia von Allmen ein. «Es kommt immer mal wieder vor, dass eine Person keinen Bedarf für ein Gespräch mit uns sieht.»
Geduld bringt Rosen
In einem solchen Fall heisst es dann, geduldig sein und immer wieder probieren, den Zugang zu dem Menschen zu finden. Ein Vorgehen, das nicht selten Rosen bringt, wie Claudia von Allmen mit einem zufriedenen Lächeln anmerkt: «Es ist unglaublich schön zu erleben, wenn eine Patientin oder ein Patient sich nach einem harzigen Start aufgeschlossen zeigt und uns Vertrauen entgegenbringt.» Einen Lohn, den sich die Fachpersonen aus der Psychiatrie mit einer Mischung aus ebenso viel Verständnis wie Ausdauer verdient haben.
Unterstützung an Ort und Stelle
Die Spitäler fmi AG bietet seit 2020 regionalen Altersheimen psychiatrische Dienstleistungen an. Je eine Psychiaterin respektive ein Psychiater und eine psychiatrische Pflegefachperson besuchen in einem sechs- bis achtwöchigen Rhythmus zirka 20 Heime im Gebiet zwischen Adelboden und Brienz. Das Angebot reicht von altersspezifischen psychiatrischen Behandlungen über Screenings auf Demenzerkrankungen bis hin zu Schulungen für das Heimpersonal, Absprachen mit Angehörigen und dem Austausch mit Heimärzten, wie Elisabeth Kuhn aufzählt. Sie ist Co-Leiterin des Bereichs Alter und Konsilien der Spitäler fmi AG.
«Dank unserem Angebot einer integrierten Versorgung erhalten Patientinnen und Patienten an Ort und Stelle die Unterstützung, die sie brauchen», führt Elisabeth Kuhn aus. Die regelmässige Betreuung der Menschen ermögliche es, Veränderungen des psychischen Befindens oder sich anbahnende Komplikationen bei Demenzerkrankten frühzeitig zu erkennen, hebt die Psychiatrieärztin hervor. Dadurch liessen sich Notfälle abwenden, die für an Demenz leidende Menschen oft mit Stress verbunden und besonders leidvoll seien, da sie dann für die Behandlung häufig aus ihrem Wohnumfeld herausgerissen würden.
Ergänzend zu den turnusmässigen Visiten besuchen die Psychiatriepflegenden Patientinnen und Patienten auch nach Bedarf in den Heimen. Sie überprüfen getroffene Massnahmen und koordinieren sie mit den allgemeinen pflegerischen Handlungen. Damit lasse sich das Netz an Beratungen und Begleitungen so eng ziehen, dass weniger Menschen durch die Maschen fallen würden und eine angezeigte Behandlung möglichst früh erfolge, streicht Elisabeth Kuhn hervor.

Zur Person
Claudia von Allmen ist Fachexpertin Pflege in der Psychiatrie der Spitäler fmi AG. Sie ist verheiratet und wohnt mit ihrem Mann in Unterseen, wo sie in der Freizeit mit Herzblut den grossen Garten pflegt. Einiges zu tun, wie sie es ausdrückt, hat Claudia von Allmen auch mit ihrem Kater. Daneben engagiert sie sich als Präsidentin im Frauenverein Interlaken. An sportlichen Aktivitäten mag sie besonders Tennis, Golf und Skifahren.
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