Neue Psychiatriestation Frutigen: Mensch und Natur im Zentrum
Text: Daniel Göring, Foto: Tino Kistler
Im Spital Frutigen wird gebohrt und gehämmert. Im 1. Stock des Spitalanbaus entsteht die neue Psychiatriestation. Wann wird sie in Betrieb gehen?
Wir rechnen damit, die Station am 1. Dezember eröffnen zu können. Bei einem Umbau ist immer mit Unwägbarkeiten zu rechnen. Da wir in den Zeitplan gewisse Reserven eingebaut haben, erachte ich Anfang Dezember als realistisch für die Inbetriebnahme.
Was wird auf der neuen Psychiatriestation alles entstehen?
Die Station wird drei Angebote umfassen, die aufeinander abgestimmt sind. Das erste ist für uns in der Psychiatrie eine Herzensangelegenheit. Es richtet sich an junge Mütter, die rund um die Geburt depressive Symptome entwickeln. Diese Frauen sollen einen Ort für sich und ihr Kleinkind haben, wo sie nach der Geburt mit ihren Problemen gut aufgehoben sind und betreut werden. Doch nicht nur Frauen und Kinder, auch die Väter sollen sich dort aufhalten dürfen und in die Therapie einbezogen werden können.
Das zweite Angebot wendet sich an Frauen rund um die Menopause. Wir wissen, dass Frauen in dieser Lebensphase unter anderen Formen von Depressionen leiden als Männer der gleichen Altersgruppe. Das liegt vor allem am Einfluss, den der Wechsel im Hormonhaushalt auf die Psyche einer Frau hat. Da wir auf der Mutter-Kleinkind-Station eine enge Zusammenarbeit mit der Gynäkologie pflegen werden, haben wir uns überlegt, wie sich diese noch erweitern liesse. So ist das Angebot für Frauen rund um die Wechseljahre entstanden.
Der dritte Teil der Station wird aus Krisenplätzen für Menschen aus der Region bestehen, die während zwei, drei Nächten Unterstützung benötigen. Für längerfristige stationäre Aufenthalte verfügen wir in Interlaken über ein ausgebautes Angebot, aber bei einer kurzzeitigen Intervention sind Plätze in der Umgebung des Wohnortes idealer, das wissen wir aus unserer Erfahrung.

Aussicht aus einem künftigen Patientenzimmer in Frutigen
Braucht es wirklich eine eigene Psychiatriestation in Frutigen? Reicht das Angebot im Spital Interlaken nicht aus?
Für Mütter mit Kleinkindern sind in der gesamten Schweiz nur wenige Plätze vorhanden. Wir gehen davon aus, dass nicht nur junge Frauen aus dem Berner Oberland nach Frutigen kommen werden, sondern aus weiten Teilen der Deutschschweiz. Ein Vorteil im Spital Frutigen ist, dass die verschiedenen Disziplinen eng und unkompliziert zusammenarbeiten. Die Verzahnung zwischen Psychiatrie und Gynäkologie ist direkter als in einem grossen Spital. Auch bei Depressionen rund um die Menopause gibt es in der Schweiz keine spezialisierten Angebote. Hier betreten wir eigentliches Neuland. Bei der Krisenbegleitung merken wir wie erwähnt immer wieder: Je weiter ein Platz vom Wohnort entfernt ist, desto grösser wird die Hürde für die Person, hinzugehen.
Was kann ich als potenzieller Patient von der Psychiatriestation erwarten?
Unsere Psychiatrie ist bekannt dafür, menschenzentriert zu sein. In vielen Institutionen sind Strukturen und Prozesse vorhanden, in die sich eine Patientin oder ein Patient einfügen muss. Manches mag für eine Person passen, manches aber nicht. Bei uns steht der hilfesuchende Mensch im Zentrum, um den herum wir individuell die Dienstleistungen aufbauen. Weiter zeichnet die enge und gute Zusammenarbeit der verschiedenen medizinischen Disziplinen die Spitäler fmi AG aus. In Frutigen ist dieses Zusammenspiel noch ausgeprägter. Den «Frutiger Geist» der engen interdisziplinären Kooperationen wollen wir auf der Psychiatriestation nicht nur übernehmen, sondern gezielt weiterentwickeln.
«Bei uns steht der hilfesuchende Mensch im Zentrum, um den herum wir individuell die Dienstleistungen aufbauen.»
Wodurch wird die Tagesklinik gekennzeichnet sein?
Unter einer Tagesklinik können sich die wenigsten Leute etwas vorstellen. Eine Tagesklinik ist geeignet für Menschen, bei denen es keinen stationären Aufenthalt in einer Klinik braucht, die aber gleichwohl eine intensivere Betreuung benötigen als alle paar Wochen eine Konsultation bei einem Psychotherapeuten oder einer Psychiaterin. Eine Patientin oder ein Patient kann je nach Bedarf zweimal, dreimal oder fünfmal die Woche in die Tagesklinik kommen, wo sie oder er eine enge Begleitung in Form von Einzel- und Gruppengesprächen erfährt. Das in der Tagesklink Erlebte und Erlernte kann die Person mit nach Hause nehmen und dort anwenden. So lässt sich die Rückkehr in den Alltag Schritt für Schritt trainieren.
Wie viele Plätze wird die Station anbieten und welche Kapazität soll die Tagesklinik aufweisen?
Die Psychiatriestation in Frutigen wird überschaubar sein. Sie besteht aus zehn Betten sowie gleich vielen Plätzen in der Tagesklinik.

Für den Betrieb der neuen Psychiatriestation und Tagesklinik werden insgesamt 26 neue Stellen geschaffen
Aus welchem Grund wollen Sie ein Angebot für Mütter mit Kleinkindern aufbauen? Gibt es in der Region besonders viele Frauen, die nach der Geburt unter einer psychischen Überlastung leiden?
In der Bevölkerung der Region stellen wir nicht mehr Depressionen bei jungen Müttern fest als in anderen Gebieten der Schweiz. Die Idee der Mutter-Kind-Station ist vielmehr aus der Tatsache heraus entstanden, dass überregional ein ausgewiesener Bedarf vorhanden ist und bei uns die Disziplinen traditionell eng kooperieren. Wir sind es gewohnt, über den medizinischen Tellerrand hinauszuschauen. Wir sind zum Beispiel bei den Visiten auf der Geburtshilfe dabei und pflegen auch eine enge Zusammenarbeit mit den Hebammen.
Können Sie das geplante neue Angebot mit dem bestehenden Personal in der Psychiatrie der Spitäler fmi AG überhaupt sicherstellen?
Wir haben für den Betrieb der Psychiatriestation 15 neue Stellen geschaffen, für die Tagesklinik kommen weitere 11 hinzu. Einen Teil der Schlüsselpositionen haben wir besetzt, die Rekrutierung der weiteren Stellen ist im Gang. Wir gehen davon aus, dass die menschliche Dimension der Arbeit nicht nur für Patientinnen und Patienten attraktiv ist, sondern auch für die Fachleute. Und etwas Neues mitaufbauen zu können, hat für viele Menschen seinen Reiz.
Noch ein Wort zur Gestaltung der Räumlichkeiten: Worauf legen Sie besonders Wert?
Wir setzen stark auf Holz als Gestaltungselement. Holz ist warm und natürlich und hat einen positiven Effekt auf das Gemüt von uns Menschen. Wir schaffen bewusst auch Bezüge zur Natur. Die Fenster sämtlicher Zimmer sind zur Natur ausgerichtet. Vom Zimmer aus sehen Patientinnen und Patienten den Wald und dahinter die Berge. Allein dieser Effekt hat eine ähnliche Wirkung wie eine Entspannungstherapie.

Zur Person
Dr. med Thomas Ihde ist geschäftsführender Chefarzt und leitet seit 2007 die Psychiatrie der Spitäler fmi AG. Er ist verheiratet, Vater eines erwachsenen Sohnes und wohnt abwechselnd in Interlaken und an der Westküste Schottlands. Zur Psychiatrie fand er durch eine Arbeit, die er als Student der Kunstgeschichte über Künstler mit psychischen Problemen schrieb. Nebenberuflich ist Ihde Präsident der Stiftung Pro Mente Sana, die sich für die psychische Gesundheit in der Schweiz einsetzt. In seiner Freizeit wandert und schwimmt er gerne. Einmal im Jahr führt er ein Wüstentrekking durch.
Kommentare
Noch keine Kommentare vorhanden