Eine Stunde voller Sonnenstrahlen
Text: Daniel Göring, Foto: Tino Kistler
Salome Abegglen betritt den Seniorenpark Weissenau. Bei sich hat sie drei Kinder: Selina, Leo und Norah. Jedes Kind trägt einen kleinen Papiersack, Leo hat noch seinen Stofffuchs unter den Arm geklemmt. Das Quartett hält auf den rechts gelegenen Saal nach dem Empfang zu, da ertönt von hinten die piepsige Stimme einer Frau: «Hallo Leo, du lieber Schatz, schön, bist du wieder da». Auf dem Gesicht der betagten Dame macht sich ein Strahlen breit. Der vierjährige Leo lächelt verschämt zurück und zusammen gehen sie in den Raum, wo ein Kreis aus knapp 20 Stühlen auf sie wartet.

Der Besuch von Salome Abegglen mit den Kindern Selina, Leo und Norah sorgt für Freude bei den betagten Menschen im Seniorenpark Weissenau
Kita Leiterin gab den Anstoss
Es ist Donnerstagmorgen, um Viertel vor zehn Uhr findet die wöchentliche Aktivität «Musik und Spass» für die Bewohnerinnen und Bewohner des Seniorenparks statt. Alle paar Wochen nehmen auch eine knappe Handvoll Kinder aus der benachbarten Kita «Sunnestube» und ihre Betreuerin daran teil. Salome Abegglen ist Co-Leiterin der Kita und hat den Anstoss für das Mitwirken der Kinder gegeben. Im Rahmen ihrer Diplomarbeit als Kindheitspädagogin HF suchte sie nach einer Möglichkeit, Raum für Begegnungen zwischen alten und jungen Menschen zu schaffen. Der Seniorenpark bot Hand, und seit dem Winter 2023/24 gehören die Besuche der Kita fix zum Aktivitätenprogramm für die Bewohnerinnen und Bewohner.
Abwechslung und Freude
Die Stunde «Musik und Spass» soll den Seniorinnen und Senioren zum einen Abwechslung bringen, zum anderen dazu beitragen, dass sie ihre kognitiven Fähigkeiten so weit als machbar nutzen und trainieren. «Unsere Bewohnerinnen und Bewohner freuen sich, wenn sie in einer gewissen Regelmässigkeit gemeinsam etwas machen können», fasst Marlen Joss den Zweck der Aktivität zusammen. Sie ist Leiterin Aktivierung im Seniorenpark Weissenau.
Derweil Leo nicht so recht weiss, auf welchen Stuhl er sich setzen soll, hat Norah vis-à-vis Anschluss bei einer rot gekleideten betagten Frau gefunden, neben der sie brav Platz nimmt. Innert weniger Minuten stossen weitere Bewohnerinnen und Bewohner zu der Gruppe und lassen sie auf knapp 20 Personen anwachsen. «Hast du auch Freude, dass die Kinder heute da sind?» raunt eine Frau dem Mann links von ihr zu. Er reagiert nicht, aber sein zufriedener Ausdruck lässt auf seine Stimmungslage schliessen. Leo entscheidet derweil, sich neben Susanne von Allmen zu setzen. Sie leitet als freiwillige Mitarbeiterin zusammen mit Marlen Joss die heutige Stunde.

“Musik und Spass” mit den Kindern bringt Abwechslung in den Alltag
Keine Hemmungen vorhanden
Passend zur Jahreszeit geht es in der Stunde um Sonne und Sommer. Zum Auftakt singt die Runde ein Lied, in dem die Sonne aufgeht, und zu dem alle dem Text entsprechend mit den Armen Figuren formen. Die Selbstverständlichkeit, mit der Gross und Klein Gesang und Bewegungen kombinieren, lässt beim Besucher den Eindruck entstehen, dass das Lied regelmässiger Programmpunkt der «Musik und Spass»-Stunde sein muss. Aufschlussreich ist auch zu sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit die Kinder sich in den Kreis der betagten Menschen einfügen. Gerade so, als würden sie mit ihnen unter einem Dach wohnen.
Salome Abegglen erinnert sich, dass sie vor dem ersten Zusammentreffen der Generationen gewisse Bedenken hatte, die Kinder würden vor Hemmungen weder ein Wort sagen noch irgendeine Bewegung tun. Nichts da: «Die Kinder machten tipptopp mit. Ein Knabe ging sogar von Stuhl zu Stuhl und schüttelte den Betagten artig die Hand», erzählt Salome Abegglen mit einem Schmunzeln.
«Durch die Besuche der Kita können wir Generationen verbinden, gemeinsam etwas tun und unseren Bewohnerinnen und Bewohnern eine Freude machen.»

"Die Kinder sind für die betagten Menschen ein Tor zur Welt draussen", erklärt Marlen Joss
Kontakt fördern
Als nächstes will Susanne von Allmen wissen, welche Aktivitäten Betagte und Kinder mit Sommer und Sonne verbinden. «Schwimmen», «Velo fahren», «wandern» bekommt sie von den Seniorinnen und Senioren zu hören. Auch faulenzen – ein Wort, das Leo nicht kennt und sich von seiner Nachbarin erklären lassen muss: «Einfach da sein und nichts tun», fasst die Frau kurz und knapp zusammen.
«Durch die Besuche der Kita können wir Generationen verbinden, gemeinsam etwas tun und unseren Bewohnerinnen und Bewohnern eine Freude machen», erklärt Marlen Joss weiter im Gespräch. Das Musizieren und Spielen mit den Kindern bringe auch Lebendigkeit in den Alltag der Seniorinnen und Senioren. Die Aktivitäten seien bewusst so angelegt, dass sie den Kontakt zwischen Kindern und Betagten fördern würden, erwähnt Marlen Joss: «Deshalb achten wir darauf, dass sie während der Stunde mehrmals durch eine Handlung in gegenseitigen Kontakt kommen.»
Beredtes Beispiel dafür ist das Rätsel mit den Sonnenbildern. In der Mitte des Stuhlkreises hat Susanne von Allmen Papierblätter ausgebreitet. Auf deren Vorderseite leuchtet eine gelbe Sonne, die Rückseite trägt ein Bild, mit dessen Begriff sich ein Doppelwort bilden lässt, das mit Sonne beginnt: Sonnenaufgang, Sonnencrème oder Sonnenkollektor. Selina, Leo und Norah verteilen die Blätter unter den Betagten, gemeinsam errät die Runde den Doppelbegriff. Unter Sonnenstube verstehen dann Alt und Jung nicht das gleiche: Den Kindern kommt sofort ihre Kita in den Sinn, während die Seniorinnen und Senioren das Wort als Synonym fürs Tessin sehen.
Ein Tor zur Welt draussen
Die Stunde mit den Kindern ist für die Bewohnerinnen und Bewohnern laut Marlen Joss aber nicht bloss ein willkommener Zeitvertreib: «Die Kinder sind für sie auch ein Tor zur Welt draussen, zu der die meisten wegen ihrer Gebrechlichkeit oder abnehmender geistiger Fähigkeiten nur noch wenig Verbindung haben», ergänzt die Leiterin Aktivierung. Passend zum Motto des heutigen Morgens bezeichnet Marlen Joss die Besuche der Kita als regelmässigen «Sonnenstrahl für unsere betagten Menschen». Und Nomen ist Omen: Die «Musik und Spass»-Stunde endet, wie sie begonnen hat. Mit dem Lied «Die Sonne geht auf».

Zur Person
Marlen Joss ist Leiterin Aktivierung im Seniorenpark Weissenau. Sie wohnt in Steffisburg, ist verheiratet, Mutter zweier erwachsener Söhne und hat ein Enkelkind, das sie einmal wöchentlich hütet. In der Freizeit hält sie sich bevorzugt in der Natur auf mit Aktivitäten wie schwimmen, wandern und Velo fahren. Bleibt ihr noch Zeit übrig, gestaltet sie gerne handwerkliche Arbeiten.
Kommentare
Einfach so als Idee. Danke für euren Einsatz!